Kamikaze – Sterben für den Tenno

von Bengt Weihberg


Eines der bekanntesten Worte der japanischen Sprache dürfte wohl Kamikaze sein, ein Wort, welches als Synonym für Selbstmordaktionen Einzug in fast alle Sprachen der Welt gehalten hat. Die Suizidattacken der japanischen Flieger, die ihre, mit Sprengstoff vollgestopften, Maschinen als „lebendige Bombe“ in die alliierten Schiffe stürzen ließen sind heute weltbekannt und gelten als Inbegriff der Verblendung und des Hasses.

Aber was steckte wirklich hinter den Kamikazeeinheiten? Tatsächlich hießen sie nicht einmal Kamikaze. Der offizielle Name war shinpū tokubetsu kōgeki tai, was wörtlich übersetzt „Göttlicher Wind Spezialangriffseinheit“ bedeutet. Allerdings ist die japanische Sprache sehr vielschichtig und die gleichen Schriftzeichen, die in der on-Lesart das Wort shinpū bilden, können in der kun-Lesart das Wort kamikaze bilden. Allerdings bedeuten beide Begriffe effektiv das Gleiche, trotzdem wurde offiziell nur der Begriff shinpū verwendet, auch weil in der regulären japanischen kanji-Schreibweise die kun-Lesart eigentlich nicht genutzt wird. Kompliziert, oder?

Dies sorgte auch beim amerikanischen Geheimdienst für Verwirrung, da in den kodierten Funkmeldungen der Japaner natürlich die verwendete Lesart nicht ersichtlich war. Da die kun-Lesart eher lyrisch genutzt wird, entschied man sich auf US-Seite dann für den Begriff kamikaze für diese Einheiten und als Standardübersetzung. Die höheren japanischen Kommandoebenen nutzen diesen Begriff ebenfalls, allerdings nur auf informeller Ebene und in großer Ehrfurcht vor der Opferbereitschaft der jungen Piloten. In Japan selber hat sich shinpū bis heute ironischerweise als Begriff für Selbstmordangriffe gehalten, im Gegensatz zum Rest der Welt.

Der Grundgedanke hinter diesen Suizidangriffen war simpel. Japan hatte bis Mitte 1944 fast alle seine Flugzeugträger eingebüßt, und mit ihnen einige der erfahrensten und besten Piloten der Kaiserlich-Japanischen Marine. Praktisch hatte das Fliegerkorps der Marine aufgehört zu existieren, denn Flugzeuge und Flugzeugträger gab es nicht mehr. Besonders die Schlacht von Midway hatte die Marineflieger so viele Piloten gekostet, wie Japan vor dem Krieg in einem Jahr(!) ausgebildet hatte, darunter viele Veteranen. In der Kommandoebene herrschte ob des stetigen Vormarsches der Alliierten, die sich durch das bekannte Island Hopping immer näher an die japanischen Hauptinseln herankämpften, wenig Illusionen über eine baldige Invasion Japans selber.

Um einen Gleichstand herzustellen, zwischen Japans faktisch handlungsunfähiger Marine und besonders der so reich mit leichten und Flottenträgern ausgestatteten US Navy sollten vollgetankte, schwer mit Bomben und zusätzlichem Sprengstoff beladene Flugzeuge gezielt die Träger angreifen und rammen, um so die schärfste Waffe der Alliierten aus dem Spiel zu nehmen. Dann hätte die japanische Marine mit ihrer immer noch großen Schlachtschiffflotte und vor allem der gewaltigen Yamato wieder eine Chance, auf Augenhöhe zum Kampf anzutreten.

Schon bevor es zur offiziellen Planung und Aufstellung solcher Selbstmordeinheiten kam, hatten einige Piloten der japanischen Marineflieger sich selbst geopfert, um zusätzlichen Schaden anzurichten. Am ersten Tag des Krieges zwischen den USA und Japan, beim Angriff auf Pearl Harbor, stürzte sich Leutnant Iida mit seiner A6M Zero in eine Reihe geparkter Flugzeuge der USAAF auf Hawaii, nachdem seine Maschine durch Flakfeuer beschädigt worden war. Während der Schlacht in der Philippinensee im Juni 1944 führten wenigstens zwei Maschinen des japanischen Trägers Chiyoda Suizidangriffe auf die US-Flotte durch, wobei das Schlachtschiff USS Indiana angeblich leicht beschädigt wurde. Diese Attacken entsprangen aus dem, bei den Japanern damals hoch angesehen Bushido-Kodex der Samuraikrieger. Viele Soldaten des Kaiserreichs orientierten sich an dessen Ehrbestimmungen, zu denen auch Selbstmord im Falle einer bevorstehenden Gefangennahme und Kampf bis zum Tod gehörten.

Kommandant Asaiki Tamai stellte schließlich die erste Kamikazeeinheit auf. Bestehend aus 24 Piloten, deren Staffelführer Leutnant Yukio Seki war, sollte sie während der Schlacht im Golf von Leyte die US-Flugzeugträger angreifen, rammen und außer Gefecht setzen. Insgesamt setzten die Japaner bei dieser, vermutlich größten Seeschlacht der Geschichte, 55 Kamikazeflieger ein. Sie erzielten durchaus Erfolge. Sieben amerikanische Träger wurden getroffen, wovon allerdings nur der Geleitträger USS St. Lo tatsächlich katastrophale Schäden erlitt und sank, nachdem das Munitionsdepot explodierte. Vier weitere kleinere Schiffe sanken, 35 wurden beschädigt. Nach diesem durchaus nicht unbeträchtlichen Erfolg schnellten die Einsatzzahlen der „Spezialeinheit“ beträchtlich in die Höhe. Trotzdem blieben größere Erfolge aus, lediglich der Flottenträger USS Randolph wurde moderat beschädigt und musste für kurze Zeit in Reparatur.

Ein Grund für die geringen Erfolge, der ja eigentlich gelenkten Bomben, war die schnelle Reaktion der Alliierten. Um die Flotten wurde ein Sicherheitskordon aus radarbestückten Zerstörern gezogen, die frühzeitig anfliegende Feindverbände orten konnten. Außerdem wurden zahlreiche Kampfpatrouillen über den Flotten geflogen, wobei sich speziell die leistungsfähigen britischen Maschinen auszeichneten, die besonders erfolgreich gegen die Kamikazeangriffe waren. Verbesserte Feuerleitsysteme mit Radarunterstützung stärkten die Luftabwehr der alliierten Kriegsschiffe beträchtlich und mit der Einführung von Annäherungszündern bei der Flakmunition Anfang 1945 versiebenfachte sich die Wirkung selbiger laut US-Angaben effektiv.

Doch auch auf japanischer Seite blieb man nicht untätig. Das Einzige, was das Kaiserreich zu diesem Zeitpunkt noch wirklich in großer Menge zur Verfügung hatte, war Menschenmaterial und simpelste Rohstoffe wie Holz. Das Ergebnis war die Ki-115 von Nakajima. Mit abwerfbarem, wiederverwertbarem Fahrwerk, einer simplen Holzkonstruktion und veralteten Motoren bestand sie, inklusive des Piloten, aus relativ leicht verfügbaren Materialien und sollte in Stückzahlen von 4000 Stück pro Monat(!) produziert werden, um die alliierte Invasion von Japan in Kamikazeangriffen zu ersticken.

Die gefährlichste Kamikazewaffe war aber die Yokosuka MXY7 Ohka. Die Ohka war eigentlich nicht mehr als eine von Menschen gelenkte, 1200 Kilo schwere Rakete. Von Bombern des Typs Mitsubishi G4M in Reichweite zu den feindlichen Schiffen getragen, beschleunigten die Ohkas (von den Amerikanern Baka, jap. für Idiot genannt) auf bis zu 1000km/h und waren damit viel zu schnell für Luftabwehr oder patrouillierende Abfangjäger. Trotzdem war auch ihre Erfolgquote gering, da wegen ihrer geringen Reichweite von nur 37 Kilometern die Mutterbomber zu nah an die alliierten Schiffe heran mussten und so häufig schon vor dem ausklinken der Ohkas von Jägern abgeschossen wurden. 

Quellen:

Rikihei Inoguchi, Tadashi Nakajima: Der Tod fliegt mit uns : Japans Kamikaze- Piloten berichten.
Edition Sven Bergh 1982, ISBN 3-430-14955-X.

Bernard Millot: Kamikaze. Geist, Organisation und Einsatz der japanischen Todespiloten.
Neff 1982, ISBN 3-7014-0042-3.

Ronald Lewin: The American Magic: Codes, Ciphers, and the Defeat of Japan.
Penguin, 1984. ISBN 0-14-006471-0.

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Kommentare: 1
  • #1

    Ela Foree (Montag, 23 Januar 2017 03:33)


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