Das Kriegsspiel: Von der Antike bis Heute spielend Krieg führen

von Bengt Weihberg

 

Kriegsspiel, was heißt das eigentlich?

Schon Wikipedia scheitert da an einer eindeutigen Definition, stattdessen wird schön aufgeteilt:

- Kriegsspiel als Planspiel, zur militärischen Aus- und Weiterbildung

- Kriegsspiel, eine spezielle Form des Schach, bei dem jeder Spieler auf seinem eigenen Brett spielt und ein Schiedsrichter die geschlagenen Figuren bestimmt

- Kriegsspiel als der Überbegriff aller Spiele, die Waffen bzw. Kriegsführung thematisieren, von Tabletop über Command & Conquer und Counter-Strike bis zu Paintball

In diesem Artikel soll es allerdings mehr um die Entwicklung des einen zum anderen gehen. Also, woher kommt diese Art des Spiels ursprünglich?

Die ersten Spiele, die den Krieg und seine Systematik mit Hilfe von Spielbrettern und Figuren darzustellen versuchten, stammen noch aus der Antike, und, welch eine Überraschung, aus dem damals schon hoch entwickelten China. Das Wei-Hai genannte Spiel ist effektiv nur vom Namen her bekannt, die Regeln sind leider nicht überliefert, sollen aber dem bis heute beliebten Go geähnelt haben, dass seit ca. 2000 v. Chr. gespielt wird.

Etwa um 500 n. Chr. entstand in Indien dann das Spiel Chaturanga, dem vermutlichen Vorläufer des Schachs. Die Regeln sind zwar nicht vollständig überliefert worden, ähneln aber denen des heutigen Schachspiels sehr und sind annähernd identisch mit dem iranischen Schatrandsch, aus dem das europäische Schach hervorging.

 

All diese Spiele stellten das Kriegsgeschehen natürlich nur sehr abstrahiert dar. Wirkliche Bewegung in die Entwicklung des Kriegsspiels kam erst im 17. Jahrhundert. Unter dem Alias Gustavus Schelenburg brachte Herzog August II. von Braunschweig-Wolfenbüttel 1616 ein Schachlehrbuch mit dem Titel „Das Schach- oder Königsspiel“ heraus, welches die Regeln der kleinen Schachschule in Ströbeck zum Thema hatte. Vom Kaufmann Christopher Weikhmann wurden diese Regeln dann als „Neuerfundenes großes Königsspiel“ weiterverbreitet. Jede der 30 Figuren pro Seite hatte 14 verschiedene Zugmöglichkeiten, und das Spiel sollte nicht nur zum Zeitvertreib, sondern auch zur Bildung des militärischen und politischen Verständnis dienen.

1780 folgte der nächste Schritt, Dr. Johann Hellwig, ein am braunschweiger Hof tätiger Naturwissenschaftler und Mathematiker, stellte sein „Köngsspiel“ vor. Zum ersten Mal stellten die Miniaturen nun ganze Einheiten dar, mit unterschiedlichen Bewegungsreichweiten für Kavallerie und Infanterie. Das Spielbrett hatte unterschiedliche Geländearten und sollte so ein reales Schlachtfeld imitieren, offenbar der erste derartige Versuch, den Ablauf des Kampfes präziser nachzustellen und so das taktische Verständnis zu fördern. Die enorme Beliebtheit des Systems ist dokumentiert, es verbreitete sich bis nach Frankreich, Österreich und Italien.

 

Erst 1811 aber schuf der Jurist Georg Leopold Baron von Reisswitz das erste wirkliche Kriegsspiel. Statt wie bisher die Figuren über ein gerastertes Spielfeld zu schieben, wurde nun eine Landkarte benutzt, auf der Höhenunterschiede durch Linien dargestellt wurden, eine Entwicklung des niederländischen Ingenieur Nicolas Cruqulus. Dadurch erreichte das System einen nie gekannten Realismus! Das Spiel fand allerdings noch im Sandkasten statt. Ein Schiedsrichter bzw. Spielleiter, unterstützt von mehreren Assistenten, führte das Spiel und bewegte nach Anweisungen der Spieler deren Einheiten, wobei die Bewegungsreichweite selbiger durch das Gelände beeinflusst wurde. Durch Zufall geriet von Reisswitz an den Hauptmann von Reiche, der zu dieser Zeit als Dozent für Befestigungsarbeiten an der Kadettenschule der Berliner Garnison tätig war. Zu seinen Schülern dort zählten unter anderem auch die Prinzen Friedrich und Wilhelm von Preussen, die wie auch andere Kadetten schnell zu großen Fans des Kriegsspiels avancierten. Begeistert wie sie waren berichteten sie offenbar ihrem Vater, König Friedrich Wilhelm III., der den Enthusiasmus seiner Söhne zumindest in Teilen nachvollziehen konnte und gleichfalls Interesse bekundete.

1824 gelang es Georg Johann von Reisswitz, dem Sohn des Barons, das Spiel zugänglicher zu gestalten. Auch verlagerte er das Spielgeschehen vom Sandkasten auf die militärische Landkarte. Im Maßstab 1:8000 war es nun möglich, die verschiedensten Waffengattungen und Geschütze „ins Gefecht zu führen“. Nunmehr zwei Schiedsrichter (einer für die Bewegungen und einer für die Kämpfe) überwachten den Spielverlauf, für den auch erstmals im Regelwerk eine Berechnungsmethode für die Kampfergebnisse konkret vorgegeben war.

Der entscheidende Durchbruch kam, als General Karl von Müffling, Generalsstabschef des preussischen Heeres, einer Partie beiwohnte und sofort die Ausbildungs- und Übungsmöglichkeiten des Systems erkannte. Auf seine Anregung hin wurde das Kriegsspiel per Dekret des Königs zur Pflichtausstattung jedes Regiments, und den Offizieren die häufige Nutzung befohlen. Insgesamt gab es dabei drei „Größenordnungen“: Das Kleine Kriegsspiel auf Regiments-, das Große Kriegsspiel auf Divisions- und das Strategische Kriegsspiel auf Korpsebene. Viele Offiziere gründeten Vereine, in denen das Kriegsspiel zu Zerstreuungs-, aber auch Trainingszwecken gespielt wurde (Tabletop-Clubs anyone?), und selbst hochrangige Persönlichkeiten wie der spätere Generalfeldmarschall Helmuth Karl Bernhard von Moltke schlossen sich diesen an. Da gerade das Offizierskorps zu den größten Anhängern des Spiels gehörte und auch auch den Löwenanteil der Spielerschaft ausmachte, war es nicht weiter verwunderlich, dass es auch zunehmend zur Kriegsplanung eingesetzt wurde. Der hohe Ausbildungsstand der deutschen Offiziere zeigte sich dann besonders im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, und ein Kommentar des General zu Hohenlohe-Ingelfingen über den „nicht geringen Verdienst“ des Kriegsspiels an den Leistungen der deutschen Heere führte zu großer Nachfrage im internationalen Ausland.

Von nun an war der Siegeszug des Kriegsspiels nicht mehr auszuhalten. Seine Spuren finden sich bis heute in nahezu allen Strategie- und Taktikspielen aller Art, analog wie auch digital. Und wie wichtig derartige Systeme bis heute sind, mag vielleicht an der Aufregung zu erkennen sein, die kürzlich die Meldung hervorrief, der deutsche Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann würde trotz der Krim-Krise eine Simulationsanlage an die russischen Streitkräfte liefern. So wie sich der deutsche Generalstab vor dem 1. Weltkrieg in gewaltigen strategischen Kriegsspielen (25-35 Offiziere pro Seite, zwei bis drei Wochen Spielzeit!) auf den Ernstfall vorbereitet, so werden heutzutage Offiziere und Mannschaften mit Hilfe von Computersimulation und computergestützten Planungssitzungen auf das Gefecht vorbereitet. Das US Marine Corps verwendete sogar eine gemoddete Version des Spiels Hearts of Iron II im Rahmen ihrer Offiziersschulungen.

Zusammenfassend gesagt: Es zieht sich ein roter Faden quer durch die Geschichte der „Strategischen Brettspiele“, theoretische militärische Aus- und Weiterbildung ging immer Hand in Hand mit Spielspaß und Amüsement, und heutige Spiele wie Warhammer 40.000, Flames of War, Hearts of Iron oder Total War teilen sich einen ganzen Berg an Wurzeln. Vielleicht sollte man das nicht aus den Augen verlieren: Hinter dem Spaß steckt mitunter erschreckend viel Realität.

 

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